In Familientherapien habe ich es oft mit grundsätzlichen Erziehungsfragen zu tun. Wenn es zwischen Eltern und Kindern zu wiederholten Konflikten kommt, die nicht konstruktiv gelöst werden, dann verhärten sich die Fronten und das tägliche Leben wird stark belastet. Laufende Streitigkeiten und Eskalationen lassen viele Eltern ratlos zurück. Und so führen fortgesetzte Auseinandersetzungen dann zu einer Pattsituation, in der sich Kinder unterdrückt fühlen (und dadurch weiterhin rebellieren) und Mütter und Väter sich vielleicht sogar als inkompetent wahrnehmen.
Um solchen negativen Mustern zu begegnen, hat sich das Konzept der „Neuen Autorität“ bewährt, welches von dem Psychologen Haim Omer entwickelt wurde. Das Wort Autorität ist im familiären Zusammenhang vielleicht nicht immer populär und deswegen lohnt es sich, die Grundlagen der Neuen Autorität genauer zu betrachten: Die Idee beruht auf elterlicher Autorität durch Beziehung, nicht durch Macht oder Gewalt. Dieser Ansatz ist nicht nur in der Familientherapie hilfreich, sondern kann sehr gut auch im täglichen Zusammenleben von Eltern und Kindern genutzt werden. Folgende Aspekte sind dabei von Bedeutung:
- Präsenz zeigen: Präsent sein heißt nichts anderes, als dass Eltern durch bewusste physische und emotionale Anwesenheit im Leben ihres Kindes signalisieren: Wir sind da und gehen nicht weg – vor allem auch dann nicht, wenn es bei Konflikten schwierig wird. Daneben sorgt elterliche Präsenz auch für Klarheit, indem bestimmte Regeln, Abläufe und Rituale im Familienleben definiert und auch verlässlich eingehalten werden. Und nicht zuletzt zeigen Mütter und Väter durch Präsenz, dass sie bereit sind, die Verantwortung für die Gestaltung der familiären Beziehung zu übernehmen.
- Wachsame Sorge: zeigen Eltern dadurch, dass sie nicht übermäßig kontrollieren, aber sich aktiv für Herausforderungen und Risiken im Leben ihres Kindes interessieren. Sie beteiligen sich an der Freizeitgestaltung, unterstützen bei der Entwicklung von Eigenverantwortung und ergreifen gegebenenfalls auch Schutzmaßnahmen bei drohender Gefahr. Dabei kann es sinnvoll sein, dass sie auch andere Eltern oder Vertrauenspersonen zur Unterstützung hinzuziehen.
- Deeskalation: Bei akuten Konflikten ist Deeskalation durch Selbststeuerung wichtig zur Beruhigung der Situation. Eltern sollten sich bei einem Streit darauf konzentrieren, auf übliche Trigger nicht mit Eskalation zu reagieren, sondern ihre Reaktion zu verzögern. Dadurch können Sie in Ruhe durchatmen, Abstand gewinnen und dann wieder mit Wertschätzung kommunizieren. Gleichzeitig stehen sie aber klar zu ihrer erzieherischen Position und suchen aktiv eine Klärung des jeweiligen Themas mit ihrem Kind. So gestalten sie bewusst einen verlässlichen Rahmen für die familiäre Beziehung.
- Gemeinsam erziehen: „Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Und dies ist auch in unserer modernen digitalisierten Welt von Bedeutung. Es geht ganz einfach darum, in die Betreuung eines Kindes ein Netzwerk von Unterstützungspersonen zu involvieren. Junge Menschen brauchen ein soziales System als Modell, um zu lernen und vielfältige Ansprechpartner, um sich kommunikativ auszuprobieren. Vertraute Menschen innerhalb und auch außerhalb der Familie geben Sicherheit und können den Eltern bei erzieherischen Herausforderungen helfen.
- Widerstand leisten: Die althergebrachte Logik von Belohnung und Bestrafung greift in der Erziehung schlecht, denn sie ist dem Autonomiestreben junger Menschen entgegengesetzt. Ebenso bleibt sie in ihrer Banalität leicht durchschaubar und lädt Kinder immer wieder zur Rebellion ein. Die konstruktive Alternative für Eltern, wenn es um destruktives kindliches Verhalten geht, ist gewaltloser Widerstand im Sinne Mahatma Gandhis. Es geht dabei nicht darum, sein Kind zu besiegen oder zu erniedrigen. Das Ziel ist vielmehr, dass Eltern durch ihr Verhalten und durch Mitteilungen konsequent zeigen, welche erzieherische Position sie vertreten. Diese Position wird nicht von der Reaktion ihres Kindes abhängig gemacht und nicht durch Diskussionen aufgeweicht. Der Fokus wird dabei auf Gesten der Versöhnung und Beziehung gelegt, um zu zeigen: „Wir lieben dich und gleichzeitig werden wir dein spezielles Verhalten in dieser Situation nicht tolerieren.“
- Wiedergutmachung: Die Idee hierbei ist, gemeinsam mit seinem Kind Ideen zu entwickeln, wie nach Fehlverhalten und Konflikten Wiedergutmachung geleistet werden kann. Dabei geht es nicht darum, das Kind zu beschämen, sondern seine soziale Kompetenz zu stärken. Im Sinne wachsender Autonomie übernehmen junge Menschen damit Verantwortung für ihr Verhalten und werden sich der Auswirkungen ihres Handelns im positiven wie im negativen Sinne bewusst.
Wie eingangs erwähnt, können diese Schritte dazu dienen, die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu stärken, Vertrauen wachsen zu lassen und gleichzeitig die Autonomie junger Menschen zu fördern. Dies kann im Rahmen einer Familientherapie bewusst gestaltet werden, vor allem aber können diese Werkzeuge auch im täglichen Familienleben bei Konflikten hilfreich sein.