Die Medien werden aktuell von einem Thema beherrscht: Corona. Und auch in meiner psychotherapeutischen Praxis sind Ängste und Sorgen rund um Covid-19 sehr präsent. In Zeiten von Ausgangsbeschränkungen, Quarantäne und Home Office sind Menschen mit vielen Fragen beschäftigt: Wie gehe ich mit einer unsicheren Zukunft um? Wie schütze ich mich und meine Lieben vor Ansteckung? Und wie bewältige ich diese neue Lebenssituation, die viele Einschränkungen mit sich bringt und in der bisherige Sicherheiten nicht mehr gelten?
Ich möchte mich in diesem Beitrag vor allem mit einer zentralen Frage befassen: Wie können Menschen eine Quarantäne bzw. Ausgangsbeschränkungen gut bewältigen? Folgende Punkte sind dabei hilfreich:
- Strukturen schaffen Ordnung und Sicherheit
Durch einschränkende Maßnahmen ergeben sich neue Situationen, auf die wir uns einstellen müssen. Die meisten hätten wohl nicht damit gerechnet, in ihrem Leben einmal eine Quarantäne zu erleben. So müssen wir uns an einen Zustand gewöhnen, für den es keine bewährten Lösungsmuster gibt. Alles ist neu und viele Informationen verunsichern zunächst einmal. Wir können nicht gleich auf eine Verbesserung hoffen, weil wir nicht wissen, wie es in den nächsten Wochen weitergehen wird.
Wenn in einer solchen Situation unser vertrauter Tagesablauf wegfällt, ist es wichtig, sich eine neue Struktur zu schaffen. Eine klare Zeiteinteilung und festgelegte Rituale geben Sicherheit. Helfen können dabei zum Beispiel ein Stundenplan für alltägliche Tätigkeiten, eine bewusste Trennung von Arbeitszeit und Freizeit, oder bestimmte Erledigungen, die ich mir über den Tag verteilt vornehme. Auch Kleinigkeiten wie eine genussvolle Kaffeepause, ein Videocall mit Freunden oder ein kurzer Spaziergang strukturieren den Tag und geben damit Halt.
- Akzeptanz und persönliche Wirksamkeit
Einiges an der aktuellen Situation können wir nicht beeinflussen und dies kann sehr überwältigend wirken. Auf der anderen Seite haben wir die Möglichkeit, in unserem individuellen Wirkungskreis sehr vieles aktiv zu gestalten. Wichtig ist, beides voneinander zu unterscheiden: Wo habe ich die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten und damit ein Gefühl von Kontrolle und Sicherheit zu schaffen? Wo macht es auf der anderen Seite aber auch Sinn, zu akzeptieren, dass ich gewisse Aspekte der neuen Situation nicht verändern kann?
Wenn wir achtsam an die aktuelle Lage herangehen, dann stellen wir fest, dass innerhalb gewisser Rahmenbedingungen viel aktives Tun möglich ist: Ich kann zwar nichts an den Beschränkungen ändern, aber ich kann mich für einen achtsamen Umgang mit ihnen entscheiden. Und ich kann mir immer wieder bewusst machen, welch wichtigen Beitrag ich damit für meine Liebsten und für die Gesellschaft leiste.
- Achtsamkeit und Ruhe
Sorgen rund um Kinderbetreuung, den eigenen Arbeitsplatz und die medizinische Versorgung verursachen derzeit Stress und stellen uns vor vielfältige Organisationsaufgaben. Bei diesen zusätzlichen Belastungen ist es besonders wichtig, achtsam mit seiner Energie umzugehen. Gerade wenn der Stress überhand zu nehmen scheint, sollte man sich zwischendurch bewusste Auszeiten verschaffen.
Vielleicht geht sich nur ein kleiner Spaziergang von 20 Minuten aus. Doch selbst kurze Ruhepausen können wir achtsam gestalten, um unseren Geist zu beruhigen und neue Kraft zu schöpfen.
- Gesunder Geist und Körper
Der Auftrag derzeit lautet, sich zuhause aufzuhalten und Kontakte zu beschränken. Doch dies bedeutet nicht, dass wir uns nicht bewegen sollten. Sport in Maßen oder auch einfach nur ein Spaziergang (bitte immer im Rahmen der aktuell geltenden Regelungen!) helfen uns dabei, unseren Geist auszulüften, den Körper zu aktivieren und somit ganz einfach Stress abzubauen.
- Umgang mit Informationen und Sorgen
Auf der einen Seite wünschen wir uns, möglichst gut über aktuelle Risiken und neueste Entwicklungen informiert zu sein. Auf der anderen Seite bemerken wir, dass der übermäßige Medienkonsum unsere Ängste verstärken kann. Unsere Wahrnehmung verengt sich und wir bekommen das Gefühl, dass es nur mehr das Thema Corona gibt. Entspannung wird dann zunehmend schwierig, denn wir befinden uns in einem Dauerzustand von Alarmbereitschaft.
Deswegen ist es wichtig, seinen Medienkonsum zu kontrollieren, das heißt einzuschränken: Eher weniger Nachrichten konsumieren, dies nur zu bestimmten Zeiten und aus einzelnen Qualitätsmedien. Ein sorgsamer Umgang mit Informationen bedeutet auch, sich der Panikmache in sozialen Medien zu entziehen, nicht jeden überhitzten Post zu teilen und keine Gerüchte im Bekanntenkreis zu streuen.
Falls Sorgen und Ängste dennoch überhand nehmen und die Isolation in der Wohnung gar zu eng wird, kann eine psychotherapeutische Beratung hilfreich sein. Beratung und Therapie gibt es derzeit auch per Telefon oder Videochat, um den Eindämmungsmaßnahmen gerecht zu werden.
- Nähe und Distanz in Familie und Partnerschaft
Gerade in Familien mit Kindern kann es anstrengend werden, wenn alle plötzlich viel Zeit auf engem Raum verbringen müssen. Doch selbst in einer kleinen Wohnung kann diese Zeit bewusst gestaltet werden, indem wir uns gewisse Fragen stellen und Regeln festlegen: Zu welchen Zeiten kommen wir zusammen (z.B. bei einem gemeinsamen Abendessen) und zu welchen Zeiten gönnen wir uns Abstand und Ruhe, indem wir uns alleine beschäftigen?
Dazu braucht es sicherlich viele Gespräche und auch Disziplin. Doch es lohnt sich: Eine bewusstere Gestaltung der gemeinsamen und getrennten Zeit in der Familie mag auch über die Corona-Phase hinaus positive Effekte bringen.
- Soziales Leben im virtuellen Raum
In Therapiegesprächen, die ja derzeit auch über Videocall oder telefonisch stattfinden, teilen KlientInnen mit mir ihre neuen Erfahrungen mit alternativen Kommunikationsformen. Und diese sind überwiegend positiv: Auch wenn wir uns natürlich nach sozialem Kontakt in der realen Welt sehnen, können digitale Medien ein hilfreicher Ersatz sein. Viele Menschen beleben dieser Tage alte Freundschaften neu oder finden sich spontan zu Partys über Skype zusammen.
Der gegenseitige virtuelle Blick in unsere Wohnzimmer schafft dort Nähe, wo im echten Leben soziale Distanz angesagt ist und hilft uns, diese Zeit gut zu überstehen.
- Unerwartet Positives finden
Vieles hat sich durch die aktuelle Krise verändert; neue Belastungen und Sorgen sind in unser Leben getreten. Und dennoch lohnt es sich, den Blick auch auf die andere Seite zu richten, nämlich auf Chancen für positive Veränderungen:
Vielleicht finden wir zu einem bewussteren Umgang mit unseren Freundschaften oder wir verbringen wieder mehr Zeit mit unseren Kindern. Es könnte sein, dass wir eine neue Wertschätzung für bisher Selbstverständliches gewinnen. Oder einfach unsere Achtsamkeit üben, wenn wir die Dinge so akzeptieren, wie sie eben gerade sind. Wir können die Zeit für persönliche Reflexion nutzen oder neue Aktivitäten beginnen, die wir bisher vor uns hergeschoben haben. Es gibt vieles zu entdecken – nutzen wir diese Chance!